Kulturelle Bedeutung der Muttersprache

Eine Stimme von Frau Prof. Dr. Wich-Reif,
Institut für Germanistik der Uni Bonn

Unsere Muttersprache, die Sprache, die wir als Kinder als erste Sprache im Elternhaus gelernt haben, ist ein Teil von uns. Sie prägt unsere Identität und unser kulturelles Bewusstsein. Mit Muttersprache kann Deutsch gemeint sein oder die Sprache einer Region wie Norddeutsch, Südniederfränkisch, die Sprache einer Stadt wie Öcher Platt oder Heinsberger Platt oder die Sprache einer Ortschaft wie Karker Platt.

Selbstverständlich lernen wir heute nicht Karker Platt in Deutschland oder Limburger Platt in den benachbarten Niederlanden, wenn wir zuziehen, weil wir in die Lage sein wollen, möglichst überall im deutschsprachigen oder im niederländischen Raum verstanden zu werden. Und doch werden wir im Alltag Wörter und Wendungen verwenden lernen, die ortstypisch sind.

Platt, Dialekt, Mundart, det es en Schproak för Lüü wie dech on mech, das ist die Sprache, in der wir unsere Gefühle geradeheraus, eindeutig und mit wenigen Worten ausdrücken können, iehrlich, reen on kott. Wir sind stoot op oos Platt, nicht nur, weil wir es noch können, sondern weil unser Dialekt ein Teil unserer Geschichte ist, wie unsere Gewässer, unsere Auen, unsere Kirchen und unsere Rathäuser. Er war da, als es Hochdeutsch als Standardsprache, das wir spätestens mit Schuleintritt als Schriftsprache lernen, noch nicht gab. Die Standardsprache hat sich aus den Dialekten entwickelt, nicht umgekehrt.

Dass wir mit unserer Muttersprache auch immer ein Stück Heimat mit uns herumtragen, zeigt sich darin, dass wir sie, wenn wir sie einmal gelernt haben, immer wieder aktivieren können.. So kann Heinz Hansen immer noch perfektes Bröker Platt, obwohl er schon jahrzehntelang im Schwarzwald lebt. Sein Platt begleitet ihn sein ganzes Leben lang, es ist ein Teil von ihm.

Genauso, wie sich gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Strukturen verändern, so verändert sich die Sprache. Eine Kirmes – das Wort geht auf Kirch(weih)messe zurück – ist für viele heute nicht mehr das Gedächtnisfest am Jahrestag der Kirchweihe, sondern ein Jahrmarkt, und nur wenige wissen noch, dass die Kirmes am bzw. um den Gedächtnistag der Kirchweihe herum stattfindet. Die Sprachen, ob Amtssprachen, Hochsprachen oder Dialekte, sind nicht nur Kommunikationsmittel, sondern auch Ausprägungen von Kultur, die einen untrennbaren Verbund mit Brauchtum und Tradition bilden.

Heimatland und -region prägen uns als Individuen und der Raum und seine Sprache prägen uns. Wir alle verwenden täglich – und sei es bloß beim ritualisierten Gruß – eine regional geprägte Sprache. Der Mundart-Atlas der Heimat- und Kulturvereine von Schwalm und Rur bis an die Maas zeigt den Leserinnen und Lesern wie Hörerinnen und Hörern, wie es in der Region gewesen ist, nicht nur, in welchen Ortsmundarten die Menschen sich ausgetauscht haben, sondern auch, wie die Sprachen der Region sie geprägt haben. Er trägt dazu bei, dass das alte Platt nicht in Vergessenheit gerät. Die Texte zeigen den nachfolgenden Generationen nicht nur, wie die Ortsmundarten klingen, sondern auch, was mit ihnen verbunden wurde – und auch heute noch wird.

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“Der „Mundart-Atlas von der Schwalm und Rur bis zur Maas“ ist als „Appetithäppchen“ gedacht und soll Interesse am Plattdeutschen wecken – idealerweise auch bei Menschen, die noch so jung sind, dass sie die Muttersprache an die folgenden Generationen weitergeben können.”

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Stephan Pusch
Landrat des Kreises Heinsberg

“Den einen Dialekt im Kreis Heinsberg gibt es nicht. Diese Mundartvielfalt bildet der vorliegende Mundart-Atlas mit den zahlreichen Dialekttexten eindrücklich ab und ermöglicht einem breiten Publikum einen Einblick in regionale Sprache des Kreises Heinsberg.”

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Dr. Rein
LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte